Die Klagelieder, griechisch-lateinisch auch „Threni“ genannt, sind im Tanak ohne Verfasserangabe überliefert. Erst die LXX geben Jeremia als Verfasser an. Einiges im Inhalt spricht aber gegen eine Verfasserschaft dieses Propheten. Er wird deshalb schon seit längerer Zeit nicht mehr als Verfasser angesehen. Man kann nicht einmal sagen, ob die Dichtungen auf eine Person oder auf mehrere zurückgehen. Andererseits zeigt der Inhalt, daß die Abfassung in der Zeit des Propheten vollzogen worden sein muß. Denn es dreht sich ja alles um die Katastrophe des Jahres 587 v.Chr. Das Buch, das zu den fünf Megillot gehört, wird deshalb im Gottesdienst der Synagoge am 9.Ab, dem Tag der beiden Zerstörungen Jerusalems gelesen.
Hatten Jeremia und vor ihm Micha wie auch – das Nordreich betreffend – Amos und Hosea die Katastrophe als unausweichlich angekündigt und waren dabei im Volk und seiner Führung auf harten Widerspruch gestoßen, so nehmen die Klagelieder jene Unheilsprophetie weitgehend auf. Jeremia hatte ja von dem Volk, das sich in falscher Sicherheit wiegte und auf militärische Rettung durch Ägypten vertraute, Umkehr gefordert, aber eine Umkehr, die das Unheil nicht abwenden würde. Die Ankündigung der Katastrophe und ihr Eintreffen, sollten aber nach der prophetischen Verkündigung das Volk dazu führen, sein Unrecht und damit zugleich das Recht Gottes zu bekennen, also nicht Gott oder irgend ein Schicksal anzuklagen, sondern sich selbst. Diese Botschaft des Propheten Jeremia wird in den Klageliedern unmittelbar nach der Katastrophe aufgenommen. Insofern besteht schon eine Beziehung zu Jeremia. Was allerdings nicht zu diesem Propheten passt, ist beispielsweise 4,20 („Der Odem unseres Angesichts, Jahwes Gesalbter , ist gefangen in ihren Gruben“). So konnte Jeremia keinesfalls über Judas letzten König Zedekia sprechen. Die Frage der Schuld an diesem Unheil ist auch nicht eindeutig. 5,16 werden zwar die eigenen Sünden als Ursache angegeben, aber neun Verse vorher sind es die Sünden der Väter.
Jedes der fünf Kapitel ist ein Gedicht. Die ersten vier sind Akrosticha. Darunter versteht man eine Dichtung, bei der jeder Vers mit einem andern Buchstaben in der Reihenfolge des Alphabets beginnt. Solche Akrosticha kommen auch sonst vor, z.B. Ps 119. Nur beim zweiten, dritten und vierten Lied ist die Reihenfolge der Buchstaben an einer Stelle anders als die übliche. Der Sinn akrostischer Dichtung ist derselbe wie der, wenn wir „von A bis Z“ sagen, d.h. eine solche Dichtung will alles sagen, was zu der jeweiligen Sache zu sagen ist. Darüber, daß wir es mindestens bei den ersten beiden Gedichten mit einem und demselben Verfasser zu tun haben, besteht weit gehende Einigkeit, wobei allerdings manche deshalb die Verfasserfrage anders sehen, weil Kap.2-4 , denen die Abweichung in der alphabetischen Reihenfolge gemeinsam ist, einen gemeinsamen Verfasser haben könnten. Im vierten Kapitel erscheint ein neuer, den ersten drei fremder Gedanke, daß nämlich die Sünden Judas durch das nun erfahrene Leid getilgt sind. Man kann sich schlecht vorstellen, daß Jeremia dergleichen hätte sagen können. Das fünfte Kapitel ist auch eine Dichtung, aber nicht eine akrostische.
Die fünf Dichtungen gehören zur Gattung der Klagelieder, die wir bei den Psalmen kennen gelernt haben. Es gibt Versuche, die Art dieser Klagelieder näher zu bestimmen, aber schon bei der Frage, ob es sich um das Klagelied des Einzelnen oder das des Volkes handelt, kommen wir nicht weiter. Nur Kap.5 ist als Klagelied des Volkes eindeutig geformt. Manche hielten gerade das 5. Kapitel für den Bestandteil eines Bußgottesdienstes, aber es ist die Frage, ob diese Dichtungen überhaupt einen liturgischen Platz haben und nicht viel eher als Lektüre zur Besinnung des einzelnen Beters gedacht sind. Dabei ist wichtig, daß die Klage des Menschen vor Gott, wie im Hiobbuch, ins Recht gesetzt wird.