Neben dem Matthäus- und dem Johannesevangelium ist dieses letzte Buch der Bibel das dritte, welches für sich den Anspruch erhebt, eine Offenbarungsschrift zu sein, sich gewissermaßen selbst kanonisiert. Es nennt sich selbst „Apokalypse“ (spr. apokálypsis), zu deutsch eben „Offenbarung“ (1,1). Es offenbart die Zukunft, in der diejenigen, die auf Gott hören, verfolgt werden, in der Katastrophen wie Kriege, Seuchen und Hungersnöte über die ganze Menschheit hereinbrechen, aber am Ende steht die Erlösung, das Reich Gottes, in das diejenigen eingehen, die standhaft bei der Sache Gottes geblieben sind. Solche Schriften waren im Judentum schon seit den Makkabäerkämpfen im 2. vorchristlichen Jahrhundert im Umlauf. In Anlehnung an die Selbstbezeichnung der Johannesoffenbarung nennt man alle Schriften dieser Art „Apokalypsen“.
Es gibt aber einige wesentliche Unterschiede zwischen den jüdischen Apokalypsen und der Johannes-Apokalypse. Die jüdischen Apokalypsen sind durchweg pseudonym, d.h. der wirkliche Verfasser bleibt ungenannt und verbirgt sich hinter dem Namen eines großen Frommen der Vorzeit: Henoch, Mose, Daniel, Esra usw. . Der Verfasser unserer Apokalypse stellt sich vor: Johannes, nicht der Herrenjünger, sondern ein Mann, der offensichtlich die geistliche Autorität der Gemeinden in der Provinz Asien ist. Im Unterschied zu den jüdischen Apokalypsen werden auch die Empfänger dieser Offenbarung genannt: eben die sieben Christengemeinden Asiens. Während die jüdischen Apokalypsen mit langen Darstellungen der Geschichte Israels operieren, kennt die Johannesoffenbarung nur ein Datum der Vergangenheit, welches den ganzen Prozeß der Endzeit auslöst: Kreuz und Auferweckung Jesu Christi.
Die Johannesoffenbarung will die Gemeinden auf eine unmittelbar bevorstehende Christenverfolgung vorbereiten, der aber – und darauf kommt es mehr an, als auf alle Katastrophen – die endgültige Erlösung folgt. Der Konfliktpunkt zwischen den Christen und dem römischen Reich ist der Herrscherkult, der nirgends so intensiv gepflegt wurde wie in Asien und der unter Domitian einem Höhepunkt entgegenging. Da Domitian im Jahre 96 ermordet wurde, blieb die große Verfolgung zunächst aus. Man wird also die Johannesoffenbarung um das Jahr 95 ansetzen.
Dabei spielt die Sage vom wiederkommenden Nero eine Rolle. Am 9.Juni 68 hatte Nero Selbstmord begangen, aber im Volk ging die Meinung um, er sei zu den Parthern gegangen und komme nun, in den 90er Jahren zurück. Die Volksmassen freuten sich darauf. Denn bei ihnen war Nero beliebt gewesen. Für die Christen war er infolge der Martyrien des Jahres 64 der Inbegriff des Schreckens und der Inbegriff des sie verfolgenden Imperiums. In Domitian sahen sie schon den wiedergekommenen Nero, der göttliche Verehrung verlangte.
Das sie bedrohende römische Reich ist das Tier aus dem Abgrund im 13. Kapitel. Dahinter aber steckt der Satan, der die Christenheit, im 12. Kapitel durch die Frau mit dem Kinde – Jesus – dargestellt, verfolgt. Mit Maria hat diese Frau nichts zu tun. Zugleich brechen aber Katastrophen über die Menschheit herein, dargestellt durch die Visionen der sieben Siegel (Kap. 6,1-8,5), der sieben Posaunen (Kap. 8,6 –11,19) und der sieben Schalen (Kap 15,5- 16,21). Dabei ist Babylon Deckname für Rom.
Am Ende steht erst das tausendjährige Reich (Kap.20), in welchem die auferweckten Märtyrer unter der Herrschaft des Christus (nicht Gottes!) leben. Der für tausend Jahre gebundene Satan kommt aber frei, und unternimmt einen Ansturm gegen die Heiligen. Doch da (Kap.21,1-2) kommt das neue Jerusalem vom Himmel, und das ist die endgültige Erlösung, die Herrschaft Gottes (Kap.21-22). Dies und nicht die Katastrophen sind das eigentliche Aussage- Ziel dieses letzten Buches der Bibel.