Das Buch der Sprüche ist ein Sammelwerk, das zur Lebensklugheit anleiten will. Es lehrt Weisheit. Es handelt sich um eine Weisheit, die in allen Völkern und Kulturen seit ältesten Zeiten gepflegt wurde und wird. Sie begegnet in ihrer ältesten, mündlich überlieferten Form in Sprichwörtern, auch in Gleichnissen und Rätseln, sodann in Lehrgedichten und –Reden. Im Buch der Sprüche ist das alles vertreten, und gerade die Sprichwörter, die darin zu finden sind, reichen bis in die vorexilische Zeit zurück. Besonders im Orient wurde die Weisheit bei Hofe und bei den Gelehrten gepflegt. In Israel – Juda galt Salomo als der Weise schlechthin. I.Kön 3 erzählt, daß Salomo am Anfang seiner Regierungszeit um Weisheit gebetet habe. Das 5. Kapitel rühmt seine Weisheit, die er in Tausenden von Sprüchen und Liedern festgehalten habe. Die Königin von Saba habe ihn besucht, so liest man im 10.Kapitel, um seine Weisheit kennen zu lernen und ihn mit Rätselfragen zu prüfen. Deshalb werden im Buch der Weisheit viele Sprüche auf ihn zurückgeführt (1-9; 10,1-22,16;25-29).
Voraussetzung für die Weisheit ist die Gewißheit, daß Gottes Schöpfung von Gottes Weisheit durchzogen ist. Man hat Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit. Das gilt nicht nur für Israel uns seinen Gott Jahwe, sondern entsprechend auch bei anderen Völkern und ihren Göttern, wobei vor allem an Ägypten zu denken ist, in dessen Weisheitsschriften viele Parallelen zum Buch der Sprüche zu finden sind. Das Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit und die gute Ordnung der Schöpfung zeigt sich darin, daß die Weisheit vom Tun-Ergehen-Zusammenhang bestimmt ist: Tust du das Rechte, das Gute, dann wird es dir auch gut gehen. Das Ganze einfach als profane Lebenserfahrung abzutun, die auch ohne Gott auskommt, wäre zu kurz gegriffen. Denn die Voraussetzung besteht ja darin, daß Gott gerecht ist und seine Schöpfung nach dieser Gerechtigkeit geordnet ist. „Der Herr hat die Erde durch Weisheit gegründet und nach seiner Einsicht die Himmel bereitet“ (Spr 3,19). Die Weisheit wird als Frau personifiziert, was dann später Anlaß für religionsphilosophische Spekulationen wird.
Gerade die Voraussetzung des Vertrauens in Gottes gute und gerechte Schöpfung tritt in einem sekundären Stadium stärker hervor. Die Weisheit wird theologisiert. Spr.1,7: „Die Furcht Jahwes ist Anfang der Erkenntnis. Weisheit und Zucht verachten die Toren.“ Die „Furcht vor Jahwe“, also die Gottesfurcht ,besteht darin, weise, gemäß seiner in der Schöpfung angelegten Gerechtigkeit zu handeln. Es läuft darauf hinaus, daß die Weisheit mit dem Gesetz Gottes gleichgesetzt wird. Denn auch das Gesetz Gottes, die Tora, gründet in der Schöpfungsordnung.
Die Gottesfurcht steht also am Anfang des ganzen Buches und beschließt es auch (31,30). Erich Zenger hat im Buch der Sprüche einen klaren Aufbau gefunden, nämlich
Kapitel 1-9 die Einleitung des Werkes (Sprüche Salomos).
Kapitel 10,1-22,16 weitere Sprüche Salomos.
Kapitel 22,17-24,22 Worte der Weisen
Kapitel 24,23-34 andere Worte von Weisen
Kapitel 25-27 Sprüche Salomos
Kapitel 30 Worte Agurs
Kapitel 31 Worte Lemuels.
Dabei nehmen die Sprüche, welche auf Salomo zurückgeführt werden, jedesmal einen viel größeren Raum ein als die anderen Sprüche. Nach den einleitenden neun Kapiteln ergibt sich also das Schema: lang – kurz- kurz – lang –kurz- kurz.
Dies alles ist das Ergebnis einer langen Sammeltätigkeit. Die Endredaktion, die zweifellos für die Theologisierung verantwortlich ist, mag frühestens um 300 v. Chr. erfolgt sein, eher später. Auf diese Endredaktion wird man die einleitenden neun und das abschließende 31. Kapitel zurückzuführen haben.
In den LXX ist das Buch erheblich verändert. In der Terminologie haben es die Übersetzer dem Ethos der Philosophie und dem griechischen Bildungsideal angenähert. Sie haben auch in den Aufbau erheblich eingegriffen.