Die Pastoralbriefe sind die beiden Briefe an Timotheus und der an Titus, deren Namen uns als Mitarbeiter des Apostels aus dessen Briefen bekannt sind. Diese Briefe stammen sicherlich von einem einzigen Verfasser aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Es gibt sogar die Vermutung, daß sie von dem Bischof Polykarp von Smyrna geschrieben worden seien.

Diese Schriften setzen sich mit der Gnosis auseinander. Das Wort γνωσισ bedeutet „Erkenntnis“ und hat in der frühen Christenheit, auch noch in den Pastoralbriefen einen guten Klang. Unter diesem Namen (I.Tim 6,30: „fälschlich genannte Gnosis“) breitete sich aber damals eine Weltanschauung aus, die sich gewissermaßen als theoretisches Lehrsystem mit sehr praktischen Folgerungen dem Christentum anbot, und dies nicht ohne Erfolg. Die ägyptische wie die syrische Kirche sind Ergebnisse christlich-gnostischer Mission. Es ist eine übrigens bis heute teils organisiert, teils rein mental wirksame dualistische Weltanschauung, indem sie die Schöpfung nicht auf den höchsten Gott und Vater Jesu Christi zurückführt, sondern auf einen unvollkommenen oder gar bösen anderen Gott. Sie lehrt deshalb asketische Weltflucht (I.Tim 4,1-3).

Dieser Sondermoral stellen die Pastoralbriefe ein welthaftes Ethos entgegen, bei dem man dankbar mit Gottes guter Schöpfung umgeht und sich vor der Welt und den Menschen nicht verschließt (I.Tim 4,4f.; 5,14; 6,1-2.6-10.17-19 Tit 1,15-16; 2,1-10;3,1-8). Das deckt sich weithin mit dem damaligen wie heutigen humanen Ethos, das auch die Stoa lehrte. Chrisliches Ethos ist keine Sektenmoral. Für die Christen war die Basis die „gesunde Lehre“ statt der wilden gnostischen Spekulationen.

Träger dieser gesunden Lehre sind in den Pastoralbriefen die επισκοποι (spr.: epískopoi), zu deutsch „Aufseher“ (I.Tim 3,1-7 Tit 1,5-10). Daraus ist das deutsche Lehnwort „Bischof“ geworden. Im Sinne der Pastoralbriefe sind es einfach die Pastoren, für die es bereits eine ritualisierte Ordination gibt (I.Tim 4,14;5,22) und deren Aufgabe die Lehre einschließlich einer recht lehrhaft verstandenen Seelsorge ist. Von einem Privileg der Sakramentsverwaltung, gar einer priesterlichen Funktion gibt es selbst in diesen späten Briefen keine Andeutung. Wahrscheinlich sind die Episkopen dasselbe , was in den Pastoralbriefen und in der Apostelgeschichte die Ältesten sind (I.Tim 5,1.17-25 Tit 1,5)). Neben ihnen, keineswegs ihnen unterstellt sind in den Pastoralbriefen die Diakone (I.Tim 3,8-13), zuständig für das, was bis heute „Diakonie“ heißt. Denen zur Seite standen bestimmte Frauen, die verwitwet und aus dem heiratsfähigen Alter heraus waren(I.Tim 5,9-13). Zugleich zeigen die Pastoralbriefe auch, daß gerade Frauen die eifrigsten Agitatoren der „fälschlich sogenannten Gnosis“ waren(II.Tim 3,6) Hier liegen die Wurzeln der Ablehnung für Frauen im geistlichen Amt (I.Tim 2,11-15).

Die Pastoralbriefe zeigen uns also ein Bild von Gemeinden, die den heutigen recht ähnlich sind. Deshalb ist es nicht erstaunlich, daß sie, die man natürlich einst für echte Paulusbriefe hielt, gerade für die evangelischen Gemeinden, das evangelische Familienleben, den Pastor und das Pfarrhaus als Leitbild für christliches Leben, Maßstäbe gesetzt haben.