Aufschlussreich für das Werden des Textes sind auch die Übersetzungen. Am wichtigsten ist die Übersetzung ins Griechische, welche den Namen „Septuaginta“ (LXX) trägt. D.h. „siebzig“. Denn einer Legende zufolge haben 70, genauer 72 jüdische Gelehrte auf Weisung des ägyptischen Königs Ptolemaios II. Philadelphos um 250 v. Chr. den Tanak, wahrscheinlich aber zunächst nur die fünf Bücher Mose ins Griechische übersetzt.
Tatsächlich ist die Tora, also die fünf Bücher Mose, in dieser Zeit in Ägypten übersetzt worden. Die anderen Bücher folgten später. Um 130 v. Chr. war das gesamte Werk vollendet. Jedoch hat es für die LXX – im Unterschied zum hebräischen Tanak – nie eine Festlegung gegeben, welche Bücher zur heiligen Schrift zu rechnen sind. Die LXX stellen eine erstaunliche Leistung dar. Denn es war das erste Mal, daß überhaupt ein literarisches Werk von einer Sprache in eine andere Übersetzt worden ist. Diese Übersetzung musste ja auch in einer dem griechischen Denken angemessenen Form gestaltet werden. Da gibt es auch beachtliche sprachliche Abweichungen vom kanonischen hebräischen Wortlaut. Beispielsweise ist das Buch des Propheten Jeremia um ein Drittel kürzer als in der hebräischen Bibel. Manche Varianten der LXX stimmen mit denen der Qumran –Handschriften überein. Hat also den Übersetzern der LXX eine ältere Textform als den späteren Rabbinen vorgelegen, eine die auch den Schreibern von Qumran zur Verfügung stand? Bemerkenswert ist auch, daß in ungefähr 1900 Fällen die LXX mit dem samaritanischen Pentateuch gegen den kanonischen Text der Rabbinen übereinstimmt.

In den LXX-Handschriften sind mehr Bücher enthalten als im hebräischen Kanon. Das sind diejenigen Bücher, die Luther , weil nicht hebräisch überliefert , als Apokryphen in einen Anhang verwiesen hat, die aber in der Vulgata und deshalb in den katholischen, auch orthodoxen Bibeln stehen. Die Anordnung der Bücher folgt in allen christlichen Bibelausgaben nicht derjenigen der hebräischen Bibel, sondern den LXX und der Vulgata. Der Unterschied besteht nur darin, daß die nicht in der hebräischen Bibel stehenden sog. Apokryphen bei Luther in einen Anhang verwiesen sind, während sie in den katholischen und orthodoxen Bibeln mit unter den Büchern des hebräischen Kanons verteilt sind. Da sich die Christen für ihr Altes Testament der LXX bedienten, wurde diese Übersetzung von den Juden verworfen. Nach den Zeugnissen, die wir haben, haben die Christen des Altertums nur diejenigen Bücher des Alten Testaments als heilige Schriften gebraucht, die auch im Tanak stehen. Hieronymus hat sich dafür eingesetzt, daß es dabei bleiben sollte, während Augustinus den sog. Apokryphen die gleiche Bedeutung zugestehen wollte. Augustinus hat sich dabei durchgesetzt. Für die griechisch sprechenden Juden wurden neue Übersetzungen geschaffen, eine von Aquila, eine von Theodotion, eine von Symmachus. Da sie über ihre hebräischen Vorlagen Aufschluss gegen können, sind sie auch für die Geschichte des Textes von Interesse.

Auf den LXX beruht die älteste lateinische Übersetzung der Bibel, der altlateinischen Übersetzung oder Itala. Da deren Latein nicht besonders anspruchsvoll war, beauftragte Bischof Damasus von Rom den gelehrten Hieronymus mit einer Neuübersetzung oder Bearbeitung der Itala. Hieronymus, der im Unterschied zu seinem Zeitgenossen Augustinus sehr sprachkundig war, übersetzte den Tanak aus dem Hebräischen, die sog. Apokryphen aus dem Griechischen ins Lateinische. Für das Neue Testament begnügte er sich mit einer Überarbeitung des Itala-Textes der Evangelien. Die übrigen Bücher des Neuen Testaments haben andere ins Lateinische übersetzt So entstand die Vulgata. Es gibt da einige Komplikationen, die aber für uns nicht wichtig sind.

Für die Textgeschichte sind auch die syrischen Übersetzungen wichtig. Verwandt mit dem Syrischen ist das Aramäische. Beides sind Dialekte einer und derselben Sprache. Wie schon bemerkt, hatte das Aramäische das Hebräische als Umgangssprache schon längere Zeit vor Christi Geburt verdrängt. Auch Jesus sprach aramäisch. So ergab sich die Notwendigkeit, den Tanak in Aramäische zu übersetzen. Das sind die Targumim, zu deutsch „Übersetzungen“. Es gibt deren mehrere, die aber eigentlich weniger Übersetzungen als vielmehr freie Wiedergaben der Vorlage sind und deshalb mehr über die Frömmigkeit des Judentums im ausgehenden Altertum verraten als für die Geschichte des Textes.
Von Belang für beide Testamente sind auch die Übersetzungen in die koptischen Dialekte, in den bohairischen und den achminschen Dialekt. Natürlich gibt es noch mehr Übersetzungen beider Testamente in die verschiedenen alten Sprachen.

Jedenfalls sind die Varianten, welche die nach der Kanonisierung des Tanak in den Handschriften zu beobachten sind, unverhältnismäßig geringer als die Varianten, welche man in der Handschriften findet, die im letzten Jahrhundert entdeckt wurden und die vor der Kanonisierung entstanden sind. Diese zeigen ebenso wie die Übersetzungen, daß an dem Text vielfältig gearbeitet worden ist, ohne daß wir nun sagen können, welches der „richtige“ ist, nämlich derjenige, der um das Jahr 400 v. Chr. verfaßt wurde. Damals erhielten die fünf Bücher Mose – mal abgesehen von allen Varianten – ihre Gestalt.